[GMG, 14.07.2023] Schon der Blick ins Programmheft zum Theaterabend am Gregor-Mendel-Gymnasium mit dessen Theatergruppe „Die Wilden 13“ weckt den detektivischen Spürsinn des Besuchers: Statt der zu erwartenden 13 Schauspielerinnen sind letztlich 14 Fünft-, Sechst- und Siebtklässlerinnen in diese Stückentwicklung involviert. Diese geht laut Ankündigung auf eine gewisse Person namens Rehadobeli Syjolehacahaemch zurück: Ob bei dieser Ankündigung nicht schon der Schein trügt…?
Apropos Schein – genauer Geldschein: Um dieses wertvolle Stück Papier in beachtlicher Anzahl dreht sich die Handlung dieser vielfach verzwickten Enthüllungskomödie. Für diese setzen der Weißclown (Amina Ullmann) und der dumme August (Sophie Özsoy) in gekonnter Weise den Rahmen: In ihrer Einführung ins Stück bringen die beiden zu Schaustellermusik die Frage nach Scheinen und einem Koffer auf den Punkt: „Wo ist der Scheinkoffer?“ Ihr Versprechen „Wir werden es gleich erfahren…“ erfüllt sich zumindest nicht direkt, sondern nach ca. 90 spannenden Minuten.
Die Szenerie – der Gemeinschaftsraum eines Altenheims – wird in ihrer, von warnendem Blaulicht schwach erleuchteten Dunkelheit direkt zum Tatort; doch statt dramatischer Schwere wird die durchgehend mitschwingende, gekonnt eingesetzte Situationskomik hier schon entfacht: Wird der Koffer zunächst unter einem Tisch fallengelassen, lassen die scheinbar harmlosen Heimbewohner nicht lange auf sich warten: Da klopft die Gulasch-Oma (Rebecka Siegert – schlagfertig und ausgefeilt in Mimik und Gang) mit ihrem Kochlöffel darauf, da stolpert die GNTM-Oma (Hanna Rieß-Pfab – mit stattlicher Erscheinung und ausdrucksstarker Bühnenpräsenz) darüber, da nimmt die Katzen-Oma (Dóra Román – raffinierter Wechsel zwischen gutmütiger Oma und gewitzter Verdächtiger), die alles und jeden für Katzen hält und entsprechend behandelt, den Koffer kurzerhand an sich: Was gäbe es für ein treffenderes Geschenk für Carl-Gustav, den „Steine-Opa“ (Benno Stiegler – ein ruhiger Beobachter und treffend umgesetztes Bild eines alternden, wissenschaftlich interessierten Mannes), als einen Koffer mit eben solchen? Gesagt – getan: Steine rein in den Koffer und das Geld raus – versteckt im fahrbaren Katzen-Bett.
Das feierliche Miteinander zu Carl-Gustavs Ehren wird rasch gesprengt durch die überraschend schnell eintreffenden Ermittlungsbeamtinnen in all ihrer Unterschiedlichkeit: Während Hauptkommissarin Luisa Bach (Lea Decassian mit couragierten Auftritten und überzeugenden Ansagen) die Richtung der Ermittlungen vorzugeben versucht, verfolgt ihre Assistentin Kristina Knister (Hannah Widmann – verkörpert detailreich die Unbeholfenheit ihrer Rollenfigur) eher ihren eigenen Ansatz – genauer ihren Karriereweg. Ergänzt wird diese knisternde Spannung des ungleichen Paars durch ein Trio von Polizeianwärterinnen, die die jungen Spiegelbilder der alternden Elfriede Klum bilden: Die um ihr Make-up besorgte, mondän anmutende GNTM-Oma bewertet dann auch gleich die drei hippen Nachwuchspolizistinnen in ihren Outfits: Mal geht’s um „Abonnieren“ (Candy: Hanna Seipt – mit wunderbar übertriebenen girlyhaften Attitüden), mal um „Liken“ (Wendy: Emma Seipt – in gekonnter Nachahmung eines It-Girls) – ohnehin immer um Fame und Geld (Mandy: Catharina Weiß – mit souveränem Abbilden des klischeehaften Influencer-Verhaltens). Von Elfriede Klum jedenfalls „gibt’s kein Bild…“
Doch das Ziel der Befragungen ist auch nicht eine GNTM-Bewertung, sondern das verschwundene Geld, das inzwischen – von anderen unbemerkt – die sechsjährige Maggie Schiefelbein (Lisa Gradl – große Spielfreude inklusive einstudiertem Sprachfehler und Spaß an Direktkontakt mit dem Publikum), Enkelin der Gulasch-Oma, gefunden und in ihrem Teddy versteckt hat. Vor diesem Hintergrund kommen die Befragungen ohne erkennbares Ziel nur schwerlich voran: Angebotene Cookies mit einem besonderen Geschmack entfalten ungeahnte Wirkungen an Knister, die vorschnell zur Waffe greift und Rechtsbehelfe einstudiert vorträgt. Da müssen die drei Polizeianwärterinnen – sie „finden alles eklig, was mit alten Leuten zu tun hat“ – ran, treffen aber nur auf eine verwirrte Katzen-Oma („Kätzchen heutzutage wissen sich auch nicht mehr zu benehmen.“), eine GNTM-Oma mit Influencer-Allüren (Heli-Port, Einzelzimmer mit Massage und Spa) und Geschichten über ihr nächtliches Schlafwandeln sowie eine Gulasch-Oma, die scheinbar verdächtige Kügelchen für eine Spezialrezeptur in ihren Kochtopf gibt.
Und sonst: Gibt’s weitere Verdächtige? Praktikantin Kara Devil (Johanna Henkel – die ihr Wissen geschickt Verbergende) entreißt Knister nicht nur zwischenzeitlich die Waffe, sondern macht auch kryptische Andeutungen. Und Pflegerin Lena Krümel (Sylvie Filipovic – die Geduld und Empathie glaubwürdig Vermittelnde) verkrümelt sich vor der Katzen-Oma unter dem Tisch.
Licht ins Dunkel der Suche nach den Scheinen bringt das kindlich gemalte Bild eines Teddys samt fehlerbehafteter Aufschrift – angebracht an der Hinterwand des Raumes und begutachtet von den Senioren entsprechend ihrer inzwischen liebgewonnenen Skurrilität: Die eine zeichnet eine Katze ins Bild, die andere vermisst darin ein neues Gulasch-Rezept und die dritte schießt mal wieder ein Selfie. Auch die drei Polizeianwärterinnen wagen sich an eine Bild-Analyse der besonderen Art („Täddy hatt: He, she, it, das t muss mit…“), erleben dann aber ihren unvermuteten Geistesblitz: Sie erkennen in Maggies Bild den – eigentlich unschwer erkennbaren, weil ja wörtlich vermerkten – Hinweis auf den Aufbewahrungsort des Geldes, fesseln das Kind, das von einem Flug zum Mars träumt, dort aber – den Fesseln sei Dank – nicht verloren gehen dürfe, und verschwinden mit dem Teddy.
Zurück bleibt Maggie, die sich erst als wehrloses, wenig auskunftsfreudiges Befragungsopfer von Karrierefrau Knister erweist (herrlich komische Situation: Maggie summt mit Kopfhörer das „Fliegerlied“), später von den Alten mitgenommen wird.
Wo sind nun die Scheine? Kurzfristig bei Mandy, Candy und Wendy, die biertrinkend recht zielsicher ihren Allgemeinzustand einzuschätzen vermögen („Wir sind dicht…“) und der mit vorgehaltener Waffe eintreffenden Kommissarin nichts Anderes als einen schrillen „Alle meine Entchen“-Gesang entgegenzusetzen haben. Weil Candy nach einem Schuss nicht so recht „tot“ sein möchte, greift die Handlungsanweisung des Spielleiters Christoph Schulz – herrlich überzeichnend und in Katzenpantoffeln geschlüpft – direkt ins Geschehen ein: „Ihr wolltet Leichen im Stück!“ lautet die energische Aufforderung, auf die zunächst Schüsse folgen und denen dann die Anwesenden scheinbar zum Opfer fallen. Selbst die Waffe führende, geldgierige Kommissarin bricht in der folgenden Begegnung mit den Alten zusammen.
Im Augenschein des nun selbst übernommenen Geldes träumen die Senioren von dessen Möglichkeiten – Livestreams, Steine, Katzenfutter, Gulasch, werden dann aber nochmals von der Gegenwart eingeholt:
Die Praktikantin erinnert an Max Disclandrow als eigentlich rechtmäßigen Besitzer des Geldes. Doch gegen diesen werden nun schwere Vorwürfe erhoben: Mit Bildern in der Hand – raffiniert inszeniert als sichtbare Verbindung von schuldhafter Vergangenheit und anklagender Gegenwart – identifiziert ihn Carl-Gustav als ehemaligen, gaunernden Geschäftspartner, wirft die GNTM-Oma ihm als ihrem damaligen Manager die Schuld am Karriere-Ende vor, verweist Lena Krümel auf die Erkrankung ihrer Tante, der Katzen-Oma, und hält die Gulasch-Oma ihm schließlich vor, dass ihr Sohn den Drogentod starb, weil Max Disclandrow dealte.
So kommt die Handlung und auch die Frage, wem denn nun die Scheine zurecht gehören, wieder ins Lot: Die Senioren dürfen sich als vielfach Geschädigte am Schein-Erwerb erfreuen und in dieser besonderen „Schein-Welt“ ihre individuellen Träume erfüllen.
Ihren Traum von einer wilden Stückinszenierung haben sich auch die jungen Schauspieler*innen verwirklicht: Denn die Textproduktion entstammt allein ihrer Feder, was sich auch hinter dem geheimnisvollen Autorennamen – einer Zusammensetzung der Anfangsbuchstaben der Beteiligten samt Spielleiter – verbirgt.
Direkt sichtbar ist schließlich der Beifall des Publikums: Dieses verlässt den Ort der Bühnenhandlung mit nicht nur einem Schein von Freude und Begeisterung…
Tobias Kober (Schultheaterleiter am Max-Reger-Gymnasium)