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Wachsamkeit ist geboten

Das „dritte Reich“, die Nazi-Herrschaft – das wäre doch heute überhaupt nicht möglich, das würden doch alle gleich durchschauen, und niemand würde mitmachen! Diese weitverbreitete Ansicht ist die Basis für den anhaltenden Erfolg eines Stoffs, der erstmals 1972 von Ron Jones als Aufsatz veröffentlicht wurde. Dort berichtete Jones über ein Unterrichtsprojekt, das er als Geschichtslehrer an einer amerikanischen High School 1967 durchgeführt hatte. Daraus wurde 1981 ein Film und ein Roman (von Morton Rhue), später schrieb Ron Jones noch einmal ein Sachbuch darüber und 2008 wurde in Deutschland ein Film gedreht, in dem die Geschehnisse an einen deutschen Schauplatz verlagert werden.

Die Theatergruppe „Obstsalat“ des GMG ließ sich mit ihrer Spielleiterin Studienrätin Claudia Ried vom Roman und dem neueren Film als Quellen inspirieren, und sie gestalteten daraus ein höchst spannendes und gelungenes Theaterstück.

Der beliebte und kumpelhafte Geschichtslehrer Rainer Wenger – eine wegen des fehlenden Altersunterschieds schwierige Rolle, die Jonathan Grothaus gut in den Griff bekam – nimmt mit seiner Klasse die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland durch. Sehr realistisch spielten die Schüler die Unlust der Heranwachsenden, sich mit diesem (aus ihrer Sicht) abgedroschenen Thema zu befassen, von dem man nichts mehr hören wolle. Außerdem sei es doch heutzutage, in diesen modernen Zeiten, sowieso undenkbar, dass jemand für so einen Quatsch zu haben sei.

Aufrechtes Sitzen fördert die KonzentrationWenger lässt die Sache scheinbar auf sich beruhen, plant aber vage, der Klasse zu beweisen, dass sie mit ihrer Einschätzung falsch liegen – dass Menschen zu allen Zeiten zu unkameradschaftlichem, ja unmenschlichem Verhalten fähig sind, wenn man es ihnen nur geschickt als das Richtige darstellt. So beginnt er sein Projekt damit, dass er am folgenden Tag aufrechtes Sitzen und eine gerade Haltung als gesund und konzentrationsfördernd erklärt. Besonders Außenseiter Tim (überzeugend von Benedikt Hösl gespielt), aber auch die zunächst coole Tina (sehr geschickt: Antonia Schmidt) sind stolz darauf, für die richtige Durchführung der Anweisungen vom Lehrer gelobt zu werden. Und so geht es in kleinen Schritten weiter: Die besonders höfliche, dann bald zackige Begrüßung des Lehrers führt zur Bildung einer Gruppe, die sich „Die Welle“ nennt, dann kommt die Vereinbarung eines Erkennungszeichens – einer wellenförmigen Armbewegung – die Ausgabe von Mitgliedsausweisen und der Auftrag, neue Mitglieder der „Welle“ anzuwerben. All das wird jeweils mit vernünftig klingender Begründung eingeführt, und mit zunehmender Begeisterung folgt die Mehrzahl der Schüler – mit Ausnahme der kritisch denkenden und skeptischen Mona (sehr authentisch: Constanze Gierl), die instinktiv erkennt, wie die Klasse hier in die Irre geführt werden soll. Auch Caro (passend von Meike Pfeiffer verkörpert) distanziert sich von dem Regime, das die „Welle“ bald führt – und als sie sich darüber auch in der Schülerzeitung kritisch äußert, wird sie angegriffen. Ihr Freund Marco (sympathisch: Quirin Langer) merkt erst dann, was die „Welle“ mit den Schülern angerichtet hat: Sie hat sie in Verbündete und Feinde aufgespalten, sie hat die größten „Welle“-Fans zu gedankenlosen Fanatikerin gemacht.

Und selbst der Lehrer, der das Experiment einfädelte, muss erst von seiner Frau (Katharina Waal) und seinem dynamischen Sportkollegen (Anna Shalsi) dazu überredet werden, diese Sache abzubrechen. Ein traumatischer Moment: Die Schüler müssen erkennen, dass sie ähnlich verblendet und gedankenlos einer Ideologie gefolgt sind wie die meisten Deutschen zwischen 1933 und 1945.

Diesen anspruchsvollen Stoff auf die Bühne zu bringen, gelang der umfangreichen Mittelstufen-Theatergruppe ausgezeichnet. Mit einfachen, selbst hergestellten Requisiten (Möbel aus beklebten Kartons), mit der Bespielung des ganzen Raums (vor allem in der Sprüh-Aktion, mit der das Welle-Logo verbreitet wurde) und mit selbst gespielter Musik (Timm Gruber an der Gitarre) nutzten die GMG-Schüler frische, effektvolle Mittel des Schultheaters.

Außer den bisher Genannten waren auf der Bühne aktiv: Julia Hetzenecker, Alisa Mändl, Nadine Treutel, Johanna Mehringer, Sarah Hepp, Barbara Winkler, Franziska Neuser, Alexander Türk, Lena Härteis, Alex Jelicka, Pauline Lay, Kathi Knab, Martina Mikuta.

Sie alle erhielten am Ende begeisterten Beifall für ihre überzeugende Vorstellung.

Peter Ringeisen

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