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Schwere Kost mit Spielfreude präsentiert

Oder: Sehnsucht nach Spaghettieis

[08.03.2023/DJDS] „Der Herr der Fliegen“ – nach Motiven aus William Goldings Roman
„Der Herr der Fliegen“, der berühmte Roman von William Golding – eine wirklich anspruchsvolle Herausforderung, die die Theatergruppe der DJD-Schulen und ihre Spielleiter da angenommen hatten. Heraus kam allerdings weit mehr als nur ein „benutzerfreundliches Stück“, wie Spielleiter Peter Ringeisen es zu Beginn der Vorstellung im Bezug auf die überschaubare Länge des Stücks scherzhaft ankündigte. Die zwölf jungen Schauspielerinnen setzten den Inhalt dieses ernsten, gar verstörenden Werkes mit großer Überzeugungskraft und sichtbarer Spielfreude beeindruckend – und beklemmend – um. Begleitet und unterstützt wurden die Mädchen bei ihrer Probenarbeit nicht nur von den Lehrkräften Peter Ringeisen und Florian Hackl, sondern auch von dem polnischen Regisseur, Theaterleiter und Kinderbuchautor Grzegorz Szlanga. Ihn verbindet seit 2011 eine grenzübergreifende Theaterfreundschaft mit den DJD-Schulen. Diese Produktion ist nach „Oskar und die Dame in Rosa“ schon die zweite Schultheateraufführung, die er in Amberg begleitet.

Der Gehardinger-Saal war am Mittwoch, den 8. März, sehr gut gefüllt, als Peter Ringeisen und Grzegorz Szlanga eine kurze Einleitung zum bevorstehenden Stück gaben. Insbesondere gingen sie auf die Tatsache ein, dass es sich in der Romanvorlage bei den auf einer Insel gestrandeten Kindern und Jugendlichen allesamt um Jungen handelte, während in der aktuellen Adaption alle Gestrandeten Mädchen waren. Der Bezug zum Weltfrauentag (8. März) sei deshalb ganz bewusst gewählt worden.

Das Stück selbst begann mit dem Absturz des Flugzeugs, das die Kinder und Jugendlichen auf die Insel brachte. Auf eine – von einer engagierten Stewardess untermalten – launigen Durchsage des Flugkapitäns folgte der „Absturz-Blackout“. Die Überlebenden irrten mit ihren Handylampen durch das Dunkel und das Publikum, welches so von Anfang an von den Schauspielerinnen in ihren Bann gezogen wurde. Es lernte zu Beginn gleich zwei entscheidende Protagonistinnen kennen: Die unsichere Blondie (hinreißend verkopft gespielt von Leni Flöter) und die kecke Ruby, überzeugend verkörpert durch eine selbstbewusste Kimberly Reuter. Während Blondie stotternd ihre körperlichen Unzulänglichkeiten aufzählt und sich nach ihrer Tante sehnt, hat Ruby längst das große Ganze im Blick und trommelt die Überlebenden zusammen. Um jedoch die Rolle der Anführerin für sich verbuchen zu können, muss sie sich erst einmal gegen die aggressive Jackie durchsetzen. Kaya Lorenz spielt diese raubeinige Kapitänin mit ihrem Cheerleadergefolge wunderbar konfrontativ und mit einem Hang zur Grausamkeit. Doch trotz des lauten und wilden Gebarens von Jackie kann Ruby sich durchsetzen und zur Anführerin küren lassen – nicht zuletzt mit der Aussicht darauf, dass sie dafür sorgen wird, dass die Gruppe irgendwann endlich wieder Spaghettieis bekommen wird.

Beraten wird die geschickte Ruby dabei von Blondie, die ihr Ideen einflüstert und sie kreativ berät. So erhält Jackie die Aufgabe, das Jägerteam zu leiten – was sie voller Tatendrang und Blutdurst tut. Ihre Jägerinnen (Ciara Pflaum, Melanie Gruber, Nina Hauser, Lina Eiban, Ronja Maurer, Frieda Schindhelm, Katharina Papp und Antonia Schlegel) bemalen sich mit Tarnfarbe – originell: Wimpertusche! – und stampfen und tanzen zu starken Beats.

Beeindruckend war auch die schauspielerische Leistung von Sina Wittl, die die „kleine Sophie“ verkörperte und sich als diese ängstlich hinter Koffern versteckte. Ihre Panik vor „dem Tier“ steckt auch Blondie an, die jedoch bewusst rational versucht, ihre Angst in den Griff zu bekommen.

Als endlich ein Schiff am Horizont auftaucht, ist der Jubel groß. Noch größer jedoch ist die Empörung, als das Schiff vorbeizieht, da irgendjemand das Signalfeuer hat ausgehen lassen. Ruby und Jackie beschuldigen sich gegenseitig – es kommt zum ersten großen Streit, der von wüsten Schimpfwörtern begleitet wird (wie von Peter Ringeisen im Vorfeld angekündigt…).

Schließlich wenden sich die Schauspielerinnen dem Publikum zu. Sie sehnen sich nach den Erwachsenen, die – angeblich – in dieser Lage wüssten, was zu tun wäre. Die Tee trinken und ruhig reden statt streiten würden. Diese Behauptungen mussten dem Publikum angesichts der Realität in der Welt zu denken geben.

Ein weiteres Highlight des Stücks war die Fliegenplage, von der die Gestrandeten heimgesucht werden und der sie sich mit aller Macht erwehren müssen. Schließlich muss Jackie zugeben, noch kein Wild erlegt zu haben. Stattdessen sucht sie nach einer „Freiwilligen“, die als „Schwein“ dient. Die kleine Sophie tritt nicht rechtzeitig zurück und wird zum ersten Opfer der Gemeinschaft – doch nicht zum letzten. Denn kurz darauf wird auch Blondie getötet, als sie schlichtend in einen Kampf zwischen Ruby und Jackie eingreifen will. Mitten in diesen dramatischen Höhepunkt hinein erhalten die Jugendlichen einen Anruf: Ein Schiff steuert die Insel an und fragt, ob es Tote gab. „Nur zwei“, lautet die ernüchternde Antwort. Statt sich jedoch für die Toten zu rechtfertigen, gehen die Jugendlichen zum Gegenangriff über. Sie hätten erkannt, dass sie den Erwachsenen egal wären. So entscheiden sich die Inselbewohnerinnen am Ende gegen eine Rettung und nehmen Stellung ein gegen mögliche „Retter“.

Der Applaus für die Schauspielerinnen und ihre Spielleitung war laut, anhaltend – und vor allem wohlverdient. Man konnte während des Stücks deutlich spüren, wie intensiv sich die Mädchen mit dem Thema auseinandergesetzt und es zu „ihrer“ Geschichte gemacht hatten. Umso schöner war es, im Nachklang zu sehen, dass die Stimmung in der Gruppe in Wahrheit eine völlig andere war als unter den Gestrandeten, nämlich ausgelassen und voller Verbundenheit. In diesem Sinne bedankten sich die Schülerinnen auch bei ihren Leitern und ganz besonders bei ihrem langjähren Theaterlehrer Peter Ringeisen, für den es das letzte Jahr regulärer Schulspielarbeit ist. Wir hoffen natürlich, dass wir sowohl von der Gruppe als auch von ihm noch mehr zu sehen bekommen werden…

Claudia Ried
(Schultheaterleiterin am Gregor-Mendel-Gymnasium)

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Zehn Jahre an einem Tag

[DJDS, 11.04.2019] Krankheit und Tod. Ein ernstes und ungewohntes Thema für eine Schulspieltheatergruppe, auch für die Theatergruppe der Dr.-Johanna-Decker-Schulen. Entsprechend gespannt erwartete das ausgesprochen zahlreiche Publikum am vergangenen Donnerstag den Beginn der Aufführung von „Oskar und die Dame in Rosa“, nach der gleichnamigen Erzählung von Éric-Emmanuel Schmitt.

Und schon die erste Szene fängt die Zuschauer mühelos ein: Man lernt Oskar kennen, den zehnjährigen schwerkranken Jungen im Pyjama und mit Kopfhörern, der erst vor kurzem erfahren hat, dass die letzte Operation ein Misserfolg war und er bald sterben muss. Doch er kämpft nicht nur mit dieser Erkenntnis, sondern auch mit dem Gefühl, von allen verlassen und als Fehlschlag betrachtet zu werden. Einzig und allein Oma Rosa, eine der älteren Damen, die als Freiwillige in rosa Kitteln ins Krankenhaus kommen, um mit den kranken Kinder zu spielen, ist ihm eine Stütze in dieser scheinbar hoffnungslosen Lage. Sie rät ihm, Gott zu schreiben und ihm seine Sorgen anzuvertrauen.

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Rosa (links) führt Oskar in die Kapelle, um ihm den Unterschied zwischen körperlichem und seelischem Schmerz zu erklären.

Oskar wehrt sich zunächst. Unglaublich eindrucksvoll und überzeugend gespielt von Paula Lacher, glaubt er weder an Gott noch an den Weihnachtsmann, doch Oma Rosa überzeugt ihn liebevoll, aber energisch, es doch zu versuchen. Amelie Prösl gelingt es mit bewundernswerter Leichtigkeit, die Rolle der unorthodoxen Oma Rosa zu verkörpern, die Oskar mit schonungsloser Ehrlichkeit und unendlichem Verständnis entgegentritt. Dieses bewegende Zusammenspiel zwischen den beiden jungen Schauspielerinnen wechselt vom tänzerischen Umkreisen, wildem Kampf mit der ungeliebten Spritze zum intensivem Zuhören, und jedes Wort, jede Geste, jede Berührung ist dabei völlig authentisch. Paula Lacher spielt Oskars Leid und seine Tapferkeit so überzeugend, so herzzerreißend für die Zuschauer, dass es kaum zu glauben ist, dass sowohl die beiden Hauptdarstellerinnen als auch einige der anderen tollen Schauspielerinnen zum ersten Mal Mitglied der Theatergruppe sind. Schulspielleiter Peter Ringeisen hat mit seiner Truppe, unterstützt von dem polnischen Regisseur Grzegorz Szlanga, eine wirklich unglaublich eindrucksvolle Probenarbeit geleistet; Szlanga hatte das Projekt seit September aus der Ferne begleitet, und in den Tagen vor der Aufführung hat er in Amberg mit den Schülerinnen intensiv geprobt.

Als Oma Rosa vorschlägt, jeden der wenigen Tage in Oskars Leben als ein ganzes Jahrzehnt zu erleben, willigt Oskar ein. Und so erlebt das Publikum mit ihm im Schnelldurchlauf seine Jugendzeit, die Eroberung seiner großen Liebe Peggy Blue (liebreizend gespielt von Lena Eichinger) sowie sein weiteres Leben als „Erwachsener“ mit all seinen Höhen und Tiefen. So bereut er zwar seine „Jugendsünde“ mit der forschen Sandy (ein unvergessliches komödiantisches Talent: Madeleine Höreth) und die Zipperlein des Älterwerdens, doch der Weg bringt ihn immer näher zu Gott und der Versöhnung mit seinem Schicksal. Auch die Schauspielerinnen, die kleinere Rollen übernommen hatten, wussten zu überzeugen: Maria Altmann als Popcorn, Sophia Göbl als Bacon, Sofie Wittmann als Oskars Vater, Eva Pamler als Oskars Mutter und Sibylle Krestel als Dr. Düsseldorf.

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Oskar (links) kontaktiert Peggy Blue übers Handy, um ihr seine Liebe zu gestehen.

Je näher das „Alter“ und damit das Ende von Oskars jungem Leben rückt, desto ruhiger wird das Stück. Die erlösenden scherzhaften Episoden aus Oskars „Jugend“ bleiben aus, und das Publikum geht gebannt mit ihm die schonungslosen letzten Schritte. Als Oskar schließlich, begleitet von Oma Rosa, verstirbt, ist es still im Gerhardingersaal. Nur leise Geräusche der Rührung sind zu hören, als Oma Rosa sich schließlich bei Gott dafür bedankt, Oscar in ihr Leben geführt zu haben. Als das letzte Bühnenlicht erlischt, kommt kein Applaus. Lange nicht. Ein Stück, das derartig berührt, verdient es, in Stille ausklingen zu dürfen. Schließlich betreten die neun jungen Schauspielerinnen die Bühne – und dann scheint der Applaus schier endlos. Und so wohlverdient wie wohl selten auf einer Schultheaterbühne.

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Claudia Ried, Spielleiterin am GMG

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