Leipzig im Jahr 1989: Die Regierung der DDR kämpft mit steigenden Flüchtlingszahlen und hat eine Frauen-WG zu Propagandazwecken ins Leben gerufen, um den jungen Genossinnen und Genossen ein Vorbild zu geben. Freundschaft!
„Wir hatten nischt, aber die DDR hatte uns“ spielt ironisch mit den Slogans und dem Gedankengut des real existierenden Sozialismus der DDR. Die Charaktere jeder einzelnen Rolle wurden bis ins Detail ausgearbeitet. Da ist zunächst einmal Charlotte Kreutz (Marie Hanke, Q 11), Gründerin dieser DEFA-Fernseh-Propaganda-WG, die mit fester Hand die Frauengemeinschaft zusammenhält. Dabei hat sie viel zu tun, denn einige der Bewohnerinnen verhalten sich nicht unbedingt so, wie es das Politbüro gerne gehabt hätte: Isgrid (Alice Kerschbaum, Q 11), von Beruf Gärtnerin, züchtet in der WG ihre Hanfpflanzen, und Bibbi (Anna Sturm, Q 12), die sich durch das Stück berlinert, hat wechselnde Männerbekanntschaften. Das Schicksal von Bibbi ist auch der Dreh- und Angelpunkt des von der Spielleiterin Diana Schneider verfassten und bis in jede Rolle ausgefeilten Theaterstücks.
Bibbi lernt gleich zu Beginn einen Wessi (Alice Grohmann, 9 c) kennen, der die Naivität des Ostmädchens ausnützt und ihr eine große Karriere als Model verspricht. Jeglicher Westkontakt und Westeinfluss muss aber vor der allgegenwärtigen Hausmeisterin und dem Stasi-Spitzel Frau Kolansky (Anna-Maria Horst, 10 c) sowie deren staatstreuen Enkelin (Nicole Dreher, 9 a) geheim gehalten werden. Das Stück strotzt vor ironischen Untertönen, was für Einiges an Situationskomik sorgt und somit zur Erheiterung der Zuschauer beiträgt. Doch als Bibbi erfährt, dass sie sich beim Westfreund mit AIDS – einer Krankheit, die in der DDR offiziell gar nicht existierte – angesteckt hat, folgt der dramatische Wendepunkt. Von da an leidet der Zuschauer mit, genau wie Bibbis Mitbewohnerinnen, die Büchernärrin Conny (Magdalena Schuth, Q 11), die dauerverliebte Floristin Nicole (Melissa Renner, Q 11), die Umweltschützerin Heike (Sophie Reinwald, Q 12), die Krankenschwester Wita (Luise Kerschbaum, 9 a) mit Helfersyndrom oder Melanie (Alexandra Koller, 10 c), Sekretärin und Sprachgenie. Natürlich darf auch in dieser WG eine Ina Saalbach (Ann-Kathrin Brüning, Q 12) nicht fehlen, die als Dressurreiterin von der sozialistischen Sportförderung der DDR profitiert. Zu dieser Truppe gesellt sich dann auch noch Eddie (Mona Sommerer, Q 11), Ingenieurin und verrücktes Genie, die mit ihren imaginären Freunden Karl (Marx) und Friedrich (Engels) im Zwiegespräch lebt.
Nach der Pause kündigen sich Veränderungen an. Die WG erhält durch Telefon und Farbfernsehgerät sozialistischen Luxus. Es ist auch die Zeit der Montagsdemonstrationen. Doch noch einmal droht der WG Gefahr, als die meisten der Bewohnerinnen von Volkspolizisten (Peter Weiser, Q 11 und Daniela Ludwig, Erzieherin im Internat) verhaftet werden. Nach dem Fall der Mauer erkennt dann letztendlich aber auch die Frauenbeauftragte und SED-Mitglied Charlotte: „Das Projekt DDR ist gescheitert.“ Man erfährt, dass Frau Kolansky nach der Verhaftung ihrer Tochter nichts anderes übrig blieb, als die Nachbarn zu bespitzeln. Am Ende wird klar, das Leben wird sich für die WG-Bewohner verändern. Für Bibbi gibt es allerdings kein Happyend, sie stirbt an ihrer Krankheit.
Zwei Stunden lachen und leiden die Zuschauer im vollbesetzten Festsaal mit den Bewohnern mit und sind ein Teil der WG, denn sie werden mit einbezogen, z. B. wenn die Darsteller auch im Zuschauerraum spielen. Das Stück ist liebevoll und engagiert durchrecherchiert und inszeniert bis ins kleinste Detail, angefangen von den Halorenkugeln über den Rotkäppchensekt bis hin zum O-Ton der Aktuellen Kamera und der Tagesschau. Die Darstellerinnen und Darsteller verstanden es, ihre Charaktere glaubhaft mit Leben zu füllen; dazu wurden sie perfekt und professionell von Johanna Samberger (Q 12), Linda Göbl. Dorothee Meyer, Jan-Marco Müllner und der Spielleiterin Diana Schneider in Szene gesetzt. Die Wende 1989, eine Sternstunde der Geschichte, wurde in einer Sternstunde des Schultheaters den Zuschauern kurzweilig vermittelt.
Andreas Hilgart (DJDR)
Aufführung: 25. April 2013